Schreib Ma(r)l einen Liebesbrief


Postkarte, die 2016 mit einem Bekenntnis zu Marl an Bürgermeister Werner Arndt geschrieben werden konnte.


Ein liebesbrief für marl?

Im Jahr 2016 verwirklichten Mitglieder der Bürgerinitiative Pro Rathaus und der Kulturinitiative Zukunft findet Stadt diese auf den ersten Blick etwas verrückte Idee. Es war das Jahr des 80-jährigen Marler Stadtjubiläums.

 

Rolf Schumann, ein aktiver Kämpfer für den Erhalt des Rathauses, hatte in den sozialen Medien Unmut, Beschimpfungen und Klagen über angeblich und tatsächlich erbärmliche Zustände in Marl gefunden. Mit seinen MitstreiterInnen (besonders Werner Eisbrenner, Ulla Fries-Langer und Monika Kaczerowski) wollte er den Fokus auch auf das Schöne, das Erhaltenswerte, den Charme der Stadt lenken.

 

Ein durch die örtliche Presse erfolgter Aufruf an die Marler, ihrer Stadt eine kleine Liebeserklärung abzugeben, erbrachte vielfältige Ergebnisse. Sie alle konnten an einem Tag der offenen Tür im Rathaus präsentiert werden, dem passenden Forum für diese ausgefallene Aktion.

 

Einige dieser positiven stimmenden Briefe regen auch heute noch zum Nachdenken an. Sie sind auf dieser Seite nachzulesen.



Rolf Schumann bei der Präsentation einiger Liebesbriefe an Marl im Marler Rathaus am am 10.9.2016 (Foto: Karl-Heinz Beschmann)



 

September 2016

 

Meine große Liebe, geliebte Herausforderung, Inspiration und Schmerz !

*Liebesbrief an Marl für das Buchprojekt zum 80 jährigen Stadtjubiläum

 

Ja, wir sind beide in die Jahre gekommen. Wir wurden auf angenehme Weise alt. Wir inspirierten uns, lernten voneinander, engagierten uns, ärgerten uns übereinander und miteinander, waren füreinander da.

 

Es hängt halt recht viel Herzblut an dem, was du einmal warst. Du warst und bist für mich im besten Sinne Heimat; bist der fruchtbare Nährboden, auf dem ich groß geworden bin. Und Du stehst nach wie vor und für immer für die vielversprechende Vision einer Polis, die den Bürgerinnen und Bürgern und mir als Behinderten viele moderne und zukunftsweisende Möglichkeiten und Freiräume neu erschloss, damit wir eine tolerante, lebendige, soziale, lebenswerte Kommune werden, in der sich jeder entfalten konnte.

 

Du gabst mir ungeahnte Entfaltungsmöglichkeiten, die mir halfen, mit meinen Schicksalsschlägen fertig zu werden. Deine „Geschenke“ an mich waren unendlich reichhaltig: die Insel; Lesesaal und Büchereien; das Theater; das Skulpturenmuseum; die Philharmonia Hungarica; das Jahnstadion; Metropol und Loe-Kino; eine breit aufgestellte Vereinslandschaft; den Hagenbusch und das Kolpingheim in Polsum; Jusos und die SPD; den Adolf-Grimme-Preis; Mut machende und inspirierende Menschen wie: Bert Donnepp, Günther Eckerland, Ferdinand Kerstiens, Heinrich Ahlert, Gisela Bauckmann, Julie Kolb, Jürgen Schmeling; die geniale Architektur des Rathauses und der Scharoun-Schule; und natürlich auch den Marler Stern.

 

Deine reichhaltigen Geschenke an mich waren der Nährboden und die Chancen, durch die ich werden konnte, was ich wurde: ein engagierter Bürger, der gerne mit dir lebt.

 

Mit einer großen Portion Altersmilde blicke ich heute auf deinen aktuellen Zustand, bin traurig über all die fehlenden Möglichkeiten der heutigen Stadtbewohner, die ich selbst so üppig genießen durfte. - Ein Hauch Larmoyanz sei mir in diesem Zusammenhang gestattet. - Du warst stets eine verlässliche Begleiterin auf meinem spannenden, ereignisreichen Lebensweg und du hast mich zu einem Teil deines Universums gemacht. Dir verdanke ich meine Lebensfreude und du motiviertest meinen »rettungslosen Optimismus«.

 

Dein Freund Jochen (Stelzer)


Liebe Stadt Marl,

das wollte ich dir schon immer mal sagen:                                          

 

Du bist die Stadt, in der ich aufgewachsen bin, und du bist die Stadt, in der ich meine Wurzeln habe.

 

Einen Teil meiner Kindheit verbrachte ich in Alt Marl bei meinen Großeltern, die in der Nähe des Volksparks ein Haus gebaut hatten. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Spaziergänge mit meinem Großvater durch den Volkspark. Der kleine plätschernde Bach, der Teich mit den Enten und Schwänen und die wunderschönen alten Bäume. Du mein Marl, den Park liebe ich noch heute sehr.

 

Einen anderen Teil meiner Kindheit verbrachte ich in der Bergmannssiedlung in Lenkerbeck.

 

Mein Vater war Fördermaschinist auf der Zeche Auguste Viktoria. Ich bin also ein echtes Ruhrpottkind. Die Zeche hat somit bei mir viele Erinnerungen rund um das Thema Bergbau hinterlassen. Die sehenswerten, neu gestalteten Bergbausiedlungen sind Industriekultur und ich bin froh, dass sie erhalten bleiben.

 

Neben der Chemie und dem Bergbau bist du eine Stadt im Grünen und bist deshalb eine außergewöhnliche Stadt. Marl, lass dich nicht weiter zubauen und schütze unsere Naherholungsgebiete! Wenn nötig, helfe ich dir dabei.

 

Ich liebe deine Natur, die Wälder und Felder.

 

Auch mag ich die Nähe zu meiner Kreisstadt. Die muss ich ab und zu aufsuchen, da in Marl das Angebot für mich nicht ausreichend ist. Das ist schade. Dafür müssen wir uns noch gemeinsam einsetzen.

 

Ich mag das Rathaus, das 1967 fertig gestellt wurde. Mittlerweile ist es sehr sanierungsbedürftig. Deshalb gab es in der Politik Stimmen, die für den Abriss plädiert haben. Das wollten viele Marler Bürgerinnen und Bürger nicht. Die Initiative „Pro Rathaus“ wurde gegründet, um sich für den Erhalt, die Sanierung und Unter-Denkmalschutz-Stellung einzusetzen. Das Rathaus gilt als Symbol für eine demokratische und moderne Nachkriegsarchitektur und ist weit über die Landesgrenzen bekannt. Jetzt wird es saniert und steht unter Denkmalschutz. Darüber freue ich mich sehr. Was ich auch hervorheben möchte ist, dass im Rathaus Menschen arbeiten, die mich bei der Verwirklichung meiner Projekte unterstützen. Dafür möchte ich mich bedanken.  

 

Ich mag die wunderbare Scharounschule. Auch sie war vom Abriss bedroht.

 

Deshalb haben Prof. Dr. Carsten Ruhl, in Marl geboren und zur Schule gegangen, Hartmut Dreier, Marler Pfarrer im Ruhestand, und ich die Initiative „Für den Erhalt der Scharounschule“ ins Leben gerufen. Gemeinsam mit vielen Bürgerinnen und Bürgern haben wir uns für den Erhalt dieser einzigartigen Schule eingesetzt. Sie ist saniert worden und mittlerweile ein Ort der Begegnung mit Musik, Kunst, Kultur und einer Grundschule.

 

Und Marl, du hast das Privileg, ein Theater und ein Museum zu besitzen. Durch die Adolf- Grimme- Preisverleihung bist du einmal im Jahr im Fokus der Medien. Dafür beneiden dich Menschen über die Stadtgrenzen hinaus.

 

Marl, du bist die Stadt, in der ich gerne mit meinem Fahrrad unterwegs bin und so durch schöne und weniger schöne Gebiete fahre. Einige Fahrradwege lassen zu wünschen übrig. Die sollten unbedingt in Ordnung gebracht werden. Marl, das wäre für dein Ansehen wichtig.

 

In deiner Stadt gibt es viele Vereine, Gruppen, Organisationen, Institutionen und Einzelpersonen, die sich für eine liebens- und lebenswerte Stadt einsetzen.

 

Was mich ganz besonders beeindruckt hat, sind die Mitbürgerinnen und Mitbürger, die mit viel Liebe die zu uns geflüchteten Menschen herzlich willkommen geheißen haben.

 

Meine Stadt Marl, du bist eine multikulturelle und bunte Stadt.

 

Das macht dich, mein Marl, „liebens -und lebenswert“.
(verfasst von Ulla Fries-Langer)


September 2016

 

Bundespräsident Gustav Heinemann hat auf die Frage, ob er Deutschland liebe, geantwortet „Ich liebe meine Frau“. Von daher: niedriger hängen – verbal abrüsten!

 

Ich lebe gern in Marl – diesem „Versuch einer Stadt“, in dem die Altenwohnheime - pardon Seniorenresidenzen wuchern, die Hauptkreuzung seit Jahren in weißrot „blüht“ und Kreisverkehre eher selten sind.

 

Ich lebe gern in Marl, die Stadtplaner schätzen offensichtlich „Saturn“ und ‚Lidl“ in der Stadtmitte und die autogerechte Gastronomie an der Ausfallstraße, aber warum beklagen sie dann die unbelebten Plätze, Busplatte und Creiler Platz.; die „Pokemon“ - Jäger allein werden das nicht ändern.

 

Ich lebe gern in Marl, wo der Marler Stern seit Jahren dahinsiecht, das Center-Management dem Leerstand kaum Herr wird – nach dem Motto ein Schritt - ein neuer Mieter - vor, zwei Schritt - zwei Schließungen - zurück, aber bei einem potentiellen Großinvestor (der Pate von Marl?) die Lebensmittelketten und die Systemgastronomie Schlange stehen. Wer in Marl fünf Kinos mit 1000 Plätzen bauen und mit Publikum füllen will, dem nehme ich später gern ein paar Kinosessel ab.

 

Ich lebe gern in Marl, ich freue mich über jeden Gewerbesteuer-Euro, der fließt - im Gegensatz zu irischen Finanzministern und Parlamentariern, also: Lieber EVONIK als APPLE!. Auch von Evonik großzügig gesponserte Theater- und Sportkultur besuche ich in der Umgebung gern; besondere Freude könnte mir eine höhere Bindung an den unmittelbaren Standort bereiten, ein Deputat für die Stadt.

 

Ich lebe gern in Marl, wo BürgerInnen sich bei der Erarbeitung des Integrierten Stadtentwicklungskonzept (ISEK) beteiligen dürfen, sich dann aber im Text nur eingeschränkt wiederfinden und bei der ausufernden Abschlussveranstaltung kaum noch erscheinen. Die Beteiligung der Erschienenen finde ich bewundernswert, angesichts des interessierten und besonders motivierenden Gesichtsausdrucks der verantwortlichen aber verstummten Dezernentin.

 

Ich lebe gern in Marl: hier regiert ein umtriebiger, diskussionsfreudiger Bürgermeister, der in der Öffentlichkeit Marl repräsentiert - nicht immer mit dem letzten Schick und Schliff - so sind wir doch auch. Ich schreibe über einen Mann, der mit sich reden lässt, aber kluge Ideen, z. B. Marl als Medien und/oder Chemie-Teilstandort der Westfälischen Hochschule, vorschnell abtut und wenig Phantasie hat, sich „Marl als Garten der Moderne“ vorzustellen. Allerdings hat er es mit einem Rat zu tun, der teilweise niveaulos streitet, sich manchmal - wie in der Rathausfrage - wegduckt oder von dem man sich zwischenzeitlich fragt, ob er überhaupt noch existiert.

 

 Ich lebe gern in Marl-Sinsen im Grünen, dessen Anblick jetzt ein „Energie-Spargel“ teilweise verhunzt, wo Bausünden der Vergangenheit (Sinsener Mauer an der B51) in fast zwanzig Jahren so toll zugewuchert sind, dass es eine Freude ist und sich auch anderenorts empfiehlt, aber nicht für den Ortsmittelpunkt: die Kreuzkirche. Manchmal finden sich auch fünf nach zwölf noch Lösungen an einem runden Tisch, wenn Verantwortung bei Kirche, Stadt, ‚Sinsen lebt’ und anderen keine Leerformel ist.

 

Ich lebe gern in Marl, weil es unter anderem das Türmchen gibt, dem der Lesegarten noch mehr Profil verleiht, und das Skulpturenmuseum, dem man ohne Not seine Identität rauben will – man sollte Georg Elben nur machen lassen und ihn stärker unterstützen (mehr China 8!). Ein Hoch auf die Freibad-Initiativen – wer dieses Engagement 25 Jahre durchgehalten hat, hat vermutlich auch eine ganz andere Erwartungshaltung an das Engagement von Politik und Verwaltung.

 

Ich lebe gern in Marl, weil im kulturellen Bereich tausend Blumen blühen. Wenn im Scharoun-Gebäude vom Erhalt des Gebäudes mehrere Initiativen profitieren, ist das eine echte Win-win-Situation. Das kulturelle Band der einzigartigen Marler Architektur stärker zu verknüpfen und herauszustellen, wird Marl guttun; die Stadtmitte zuzubauen, heißt im Übrigen auch, Möglichkeiten zu verbauen.

 

Ich lebe gern in Marl! Das Engagement vieler Personen ist beispielhaft – auch im Blick auf ihre Hartnäckigkeit. Ohne die Fähigkeiten und die Zuverlässigkeit anderer zu unterschätzen, seien hier stellvertretend der langjährige Vorsitzende des Fördervereins des Türmchens, der geistige Motor der Scharoun-Sanierung, das Gründerehepaar der Jugend- und Kulturstiftung, der Chef des Zentralen Betriebshofes und ein Unternehmer aus dem Bereich Druck und Design herausgehoben. Nicht jeder verfügt über die gleichen Möglichkeiten, aber jeder sollte sein Potential überprüfen und fruchtbar machen.

 

Ich lebe gern in Marl und lese jeden Morgen die Lokalpresse, zu der es leider keine Alternative mehr gibt, aber dennoch zufrieden darüber, noch eine Zeitung in Marl zu haben, die auch den Bürgern eine Stimme gibt, die man nicht immer teilen muss und kann. Das aufzugreifen, wo es die Bewohner zwickt und bedrückt, dorthin zu sehen, wo es wehtut, davon brauchen wir noch mehr.

 

Ich lebe gern in Marl  .....

 

Ich lebe gern in Marl, weil hier vieles möglich war und ist! „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“ lautet das bekannte Helmut Schmidt-Zitat zur Abwehr unorthodoxer Ideen. Marl sollte es vielleicht eher mit dem Satz von Ben Gurion halten: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist!“ Irgendwo zwischen diesen Stühlen sitzen wir Marler dann auf unserem Sessel und schauen, was aus dem „Versuch einer Stadt“ wird.

 

(Dass in Marl die Uhren anders gehen, erkennt man auch daran, dass in dieser Republik der „Tag des offenen Denkmals“ in diesem Jahr am 11. September begangen wird; nur in Marl öffnet das Denkmal am 10. September, wer auch immer das so festgelegt hat; so ist Marl – und das ist nicht immer lustig!)

(vefasst von Kurt Langer)


Foto: Ilse Seck