Die Scharounschule Marl – ihre Rettung erinnert und verpflichtet

„Die im Jahre 1960 entworfene Schule in Marl ist ein paradigmatisches Beispiel, das seinesgleichen in der Welt sucht.“

(Peter Blundell Jones, international führender Scharoun-Experte, † 2016)

 

Hans Scharoun sagte bei der Grundsteinlegung der Schule in Marl am 27.8.1964:

Pädagogik ist „das Mittel zum höchsten Zweck. Durch sie sollen Erkennen und Wollen entwickelt, durch sie die Grundlage für die Veredelung und Fortbildung der Menschheit geschaffen werden. (…) Diese Hinweise mögen genügen, dass der besonderen Aufgabe der Schule eine besondere Form des Schulbaus entsprechen sollte – eine Schulkaserne ist da nicht am Platz und unseres Erachtens genügt auch nicht ein nur auf das Funktionelle beschränktes Bauobjekt.“ (S. 26 in: Walz/Strege/Dreier).


Durchblicke beim Gang durch die Scharounschule Marl „Veredelung und Fortbildung der Menschheit“

(Hans Scharoun bei der Grundsteinlegung im August 1964)

 

Wer die Scharounschule Marl durch den unscheinbaren Eingang betritt, meint in dem sich öffnenden Foyer in eine Landschaft zu treten – mit ihren Wegen, Geländestufen und Wänden wie Berghänge – und sich in einer Landschaft zu bewegen, mit überraschenden Blick-Achsen, wechselnden Perspektiven, Lichteinfall und Schattenwurf dank der ganz unterschiedlichen Fensteröffnungen.

 

Wer dann in den „Raum der Mitte“, d.h. in die Aula kommt, wird ergriffen vom Erleben in diesem Raum. Die Aula mutet an wie in ein Weinberg mit Abhängen und Terrassen. Und dann diese Akustik, wo ein Räuspern einen Klang aufbaut! Diese Aula gilt als die “kleine Berliner Philharmonie“; die große plante Hans Scharoun gleichzeitig in Berlin.

 

Wer sich von Foyer und Aula aus auf den Weg durchs Gebäude macht, freut sich nicht nur an den kreativ gestalteten Fluren/Pausenhallen mit ihren Ecken und Raumsprüngen, sondern kommt auch an dem kleinen Hörsaal vorbei. Scharoun und sein Auftraggeber Bürgermeister Rudi Heiland schufen zentral gelegen diesen Extra-Raum für das Schulparlament, als Ort der jungen Demokratie.

 

Wer dann in eines der Klassenzimmer tritt – jeweils vier hängen wie Waben an diesen strahlenförmig von der Mitte her wegführenden Fluren/„Wegen“ – kommt in eine behagliche „Wohnung“: Zunächst betritt man den Vorraum für Jacken und Mäntel der SchülerInnen jeder Klasse mit eigener Toilette und Waschbecken. Dieser Vorraum führt in den sechseckigen eigentlichen Klassen-Raum mit dem umlaufenden Oberlicht des ebenfalls sechseckigen geneigten Daches; der geräumige Klassenraum hat eine ergänzende Raum-Erweiterung, jeweils mit großen Fenstern nach draußen. Jede Klasse hat eine eigene Terrasse mit Sitz-Eckbank. Von hier führen jeweils zwei Stufen in den Schulgarten, der zu jeder dieser „Klassen-„Wohnungen“ gehört. Sie alle öffnen sich zum gemeinsamen Schulhof. Man sieht sich von Terrasse zu Terrasse, kann mal eben um die Ecke springen und sich nebenan verabreden.

 

Der Schulhof liegt am Loemühlenbach, dieser Frischluftschneise vom Süden nach Norden, der dann übergeht in den Park „Gänsebrink“ mit dem Jahnwald und dem Jahnstadion. Hans Scharouns Freund, der Landschaftsplaner Hermann Mattern, hatte mit seinem Team um Günter Nagel für diese Gründordnungs-Rahmenplanung in Marl zu Zeiten von Bürgermeister Heiland sehr demokratische, klimatisch sehr nachhaltige Konzepte erarbeitet. Man stelle sich das vor: Das war damals vor rund 60 Jahren – wie aktuell und wie bedroht das auch heute ist! Durchlüftung der Mitte von Marl-Hüls mit all seinem Verkehr, damals zur Zeche, heute zu Gate.Ruhr. Wie weitschauend diese Verantwortlichen in Marl waren: auf Einladung von Bürgermeister Heiland veranstaltete der Deutsche Werkbund im Oktober 1959 die bedeutsame Tagung gegen „Die Große Landzerstörung“. Scharoun war dabei. Der west-Berliner Landschaftsplaner Walter Rossow formulierte programmatisch: „Die Landschaft muss das Gesetz werden.“ (Landschaft, Natur und städtische Wälder sind also nicht „Rest-Flächen“ für Vernutzung durch Bebauung!). Das war 1959, dreizehn Jahre vor dem Club of Rome („Die Grenzen des Wachstums“, 1972)!

 

Hans Scharoun wollte nicht nur seine Architektur in solche größeren Zusammenhänge einbeziehen, sondern wollte auch Sonne, Wetter, Pflanzen und Tiere schulisch erlebbar machen. Sogar die Himmelskörper hatte er in seinem Schulprogramm: Die Schule hat eine hoch gelegene Aussichtsplattform für Unterricht zu Themen wie Wetter, Sterne und Himmelskunde (von dieser Aussichtsplattform gibt es einen faszinierenden Blick auf die vielgliedrige Dachlandschaft dieser Scharounschule, die sich einstöckig dahinschlängelt, rings um den Kubus-Turm der hohen Aula). Mehr noch: Scharoun war handwerklich, polytechnisch orientiert und sorgte in seiner kontextuellen Architektur nicht nur für die Verwendung örtlicher Bausteine (aus der Steinfabrik der Zeche Auguste Victoria in Marl-Hüls), sondern auch für Werkstatthallen mit Shet-Dächern für polytechnischen Unterricht bei „Hand-Arbeit-und-Kopf-Arbeit“ (in Marl hatte er Bergbau und Chemie im Blick).

Das Beste ist immer gut, wenn es für alle, bei allen gut ist – verantwortliche kommunalpolitische Weitsicht

Dieses Raumprogramm war teurer als eine normale Schule im Kasernen-Stil/ Bürohaus-Schachtel-Stil. Als der damalige Bürgermeister Heiland beim Gespräch im zuständigen Kultusministerium auf die zu hohen Baukosten hingewiesen wurde, hatte er bereits entschieden: „Als Stadt Marl nehmen wir die üblichen Schulbau-Zuwendungen des Landes mit, den Rest zahlt die Stadt Marl selber“. Marl war damals dazu in der Lage aufgrund sprudelnder Steuereinnahmen vom Bergbau und von der Chemie. Aber im Unterschied zu anderen Städten im Ruhrgebiet mit gleichen Steuereinnahmen war Marl gesegnet durch diesen Bürgermeister, das SPD-Mitglied Rudolf (genannt „Rudi“) Heiland (1946-1965). Er hatte aus den Irrtümern des Wilhelminischen Preußen-Deutschland und des Hitler-Faschismus die einzig richtigen Lehren gezogen: das Beste ist immer gut, wenn es für alle da ist und allen gut tut (also nicht für die sog. Eliten) – Bildung, Kultur, Wohnquartiere, d.h. eine Stadtentwicklungspolitik mit Luft, Licht und Sonne und Stadtwäldern samt zusammenhängenden Frischluftschneisen und zur Naherholung und sportlicher Bewegung unter Bäumen gleich nebenan.

Beratung durch die besten köpfe

Dieser „geniale Bürgermeister“ (Roland Günter), nach dem bis heute merkwürdigerweise keine Straße in Marl benannt ist, war durchaus entscheidungsfreudig wie auch ein Adenauer. Dabei war er nicht beratungsresistent, denn er ließ sich beraten von den besten Köpfen im demokratischen Nachkriegs-Deutschland: Er beriet sich mit Hans Scharoun und dessen Freund Prof. Hermann Mattern, dem international anerkannten West-Berliner Landschafts- und Stadtgrün-Planer, sowie mit seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Günter Nagel. Dieser führte mit Studierenden 1960 exakte wissenschaftliche Untersuchungen zu Landschaft, Bewässerung, Begrünung und Wäldern in Marl durch. (Auch er wurde später ein weltweit hoch angesehener Professor für Landschaft, und Grünordnung in Hannover und setzte sich noch in 2018 und 2020 in Briefen an Bürgermeister Arndt für den Erhalt des Marler Jahnwaldes und Jahnstadions ein).

 

Zu Heilands Beratern gehörten der religiöse Sozialist, Erwachsenen-, Kultur- und Medienpolitiker Adolf Grimme und sein Schüler Bert Donnepp, der als weit denkender, gut vernetzter Erwachsenenbildner die VHS „die insel“ in Marl gründete und so für den ersten Neubau einer VHS in der damaligen Bundesrepublik sorgte. Später rief er den Grimme-Preis ins Leben.

 

Zu den besten Beratern des Bürgermeisters in Marl gehörte der Architekt und Stadtplaner Günter Marschall, der in der Nachfolge von Stadtbaumeister Schwalm freie Hand in der Stadtplanung hatte, solange wie Rudi Heiland Bürgermeister war. Die Bauten aus dieser Zeit machen Marl zu einer Art Internationaler Bauausstellung der Nachkriegs- und Bauhaus-Moderne: das Hallenbad, das Jahnstadion im Jahnwald, die Hügelhäuser, das Rathaus, die Scharounschule, die Paracelsusklinik, etliche Schulbauten wie das ASGSG (Albert-Schweitzer-/Geschwister-Scholl-Gymnasium), der Erweiterungsbau des Berufskollegs (künftig „Marschall 66“), die Heinrich-Kielhorn-Schule, die derzeit leider abgerissene Goetheschule, die beiden Schulen am Merkelheider Weg, die Willy-Brandt-Gesamtschule, dazu etliche Kirchen aus dieser Zeit wie die Erlöserkirche, die sog. „Zeltkirche“, die Sinsener Kreuzkirche, die Dreifaltigkeitskirche und das leider ebenfalls abgerissene Versöhnungszentrum.

 

Die Scharounschule steht nicht von ungefähr, nicht aus Versehen in diesem Marl, der Beispielstadt im Ruhrgebiet mit ihrer Nachkriegsmoderne, der „Ruhrmoderne“. Die Entstehung der Scharounschule ist ein großer Glücksfall. Ihre Rettung vor mehr als einem Jahrzehnt ist auch ein Glücksfall.

 

So war es konsequent, dass im Mai 2008 noch vor der geglückten Instandsetzung die Schule zu Ehren von Architekt und Werk in „Scharounschule“ umbenannt wurde.

 

Hans Scharoun war davon überzeugt: „Die Schule in Marl wird ihren Weg machen“.

2005: „Ihr seid Traumtänzer“ – 2015: „Wir sind alle stolz“

 Eine Rettung in 10 Jahren

 

Bei Veranstaltungen in den Pausen mit all ihren nützlichen Gesprächen und in der Marler Wählergemeinschaft Die Grünen gab es vor 2005 sehr besorgtes Gemurmel: „Was wird aus der Scharounschule? Sie muss doch bleiben!“ – Im Jahre 2000 war dieses Gebäude unter Denkmalsschutz gestellt worden und verfiel gleichzeitig. Die Stadt Marl verhandelte mit der Caritas über die Abstoßung für eine Seniorenresidenz (aber die Caritas trat von dem Plan zurück). Gleichzeitig tropfte es durch die Dächer und bestimmte Räume wurden wegen Schimmelbefall gesperrt. Noch fand dort Unterricht der beiden Gesamtschulen statt, bis sich Lehrkräfte wegen des Schimmels verweigerten. Die Schule wurde 2006 dicht gemacht. Die letzte Gruppe aus der hier beheimateten gemeinsamen Oberstufe der beiden Marler Gesamtschulen skandalisierte gegen die Schließung (durch eine Besetzung, im Juni 2006). Ihrer Meinung nach wäre die Schule der beste Ort der gemeinsamen Oberstufe, dazu auf halbem Weg zwischen beiden Gesamtschulen, die eine in Marl-Mitte gelegen, die andere in Hüls-Süd.

 

Prof. Dr. Carsten Ruhl schrieb in der FAZ im Herbst 2004 einen flammenden Appell: Rettet die Scharounschule in Marl! Der Bund Deutscher Architekten BDA lud zu seiner öffentlichen Mitgliederversammlung in die Scharounschule am 24. November 2005 ein. Am 5. Dezember 2005 versammelten sich in diesem dem Verfall übereigneten Gebäude ca. zwanzig Menschen und gründeten den „Initiativkreis Scharounschule“ – „zur Rettung für pädagogische-musische Zwecke“. Prof. Dr. Roland Günter (Eisenheim in Oberhausen) und Prof. Dr. Manfred Walz (Bochum/Dortmund) stießen Anfang 2006 dazu und vernetzten mit der Fachwelt in Deutschland, Europa und bis Japan, mit Prof. Dr. Michael Hellgardt (Amsterdam, er war Scharouns Beauftragter in Marl während der Bauphase der Schule von 1964 bis 1970) und mit Prof. Dr. Peter Blundell-Jones (Sheffield, der international anerkannte Scharoun-Experte).

 

In Marl galten wir vom Initiativkreis zunächst als Traumtänzer. Appelle aus aller Welt für die Rettung der Scharounschule kamen im Rathaus an und wir lancierten sie umgehend an die (kooperative) Presse. Zäh blieb der aktive Initiativkreis am Bohren des dicken Brettes – mit gelegentlich notwendigen Maßnahmen zivilen Ungehorsams (etwa eigentlich illegalen Luftmessungen in bestimmten Räumen der doch zugeschlossenen Scharounschule).

 

Nach und nach drehten wir die Meinung im Stadtrat: In der Amtszeit von Bürgermeisterin Uta Heinrich (CDU bis zu ihrem Parteiaustritt CDU) beschloss der Stadtrat einstimmig Erhalt und Sanierung der Schule für pädagogische-musische Zwecke. Nach zehnjährigem Ringen wurde im August 2015 die Scharounschule von Bürgermeister Werner Arndt (SPD) feierlich wieder eröffnet, nachdem der Kulturamtsleiter Klaus Lauche dort bereits die Musikschule der Stadt Marl untergebracht hatte (das war eine mutige Tat). Durch Verbindungen zu Hubert Schulte-Kemper (CDU) gelang es, den damaligen Städtebauminister NRW Oliver Wittke (CDU) zur Ortsbesichtigung in die Scharounschule zu holen, er machte anschließend ihre Rettung zur Chefsache und sorgte mittels der Montag-Stiftungen (Bonn) für wissenschaftliche Expertise, notwendig für die Bewilligung von Förderbescheiden aus Düsseldorf und Berlin. Das Westfälische Amt für Denkmalpflege in Münster agierte immer lösungsorientiert.

Zwei Fachleute kommentieren

Manfred Walz, einer der jüngeren Berliner Weggefährten von Hans Scharoun und beteiligt an der Rettung der Scharounschule zwischen 2005 und 2015: „Er sieht ‚Stadt‘ als einen Prozess, der sich als öffentlicher Raum immer neu zwischen privater Aneignung und dem Bürger als Citoyen ausbildet. Diese umfassende ganzheitliche Arbeitsweise und das auf gesellschaftliche Verantwortung gerichtete Bauen ist konsequent. Sie ist auch heute noch – oder wieder – vorbildlich für aktuelle Bau- und Planungsaufgaben. Eindrucksvoll ist die durchgehende Behandlung und Weiterentwicklung der folgenden Themen im Schaffen von Hans Scharoun: ‚das Wohnen‘ als Element des ‚Lebensbaus‘ (Scharoun), die explizite und immer neue Ausformung der Möglichkeiten der ‚Wegeführung‘ als leitendes Prinzip von Entwurf und Nutzung.

Scharoun versucht immer wieder neu, Antworten für die Bauaufgaben in der Zeit und in ihren unterschiedlichen Ortsbezügen zu finden. Vor allem aber hört die Formfindung für das Bauwerk nicht mit dem Fertigen auf. Das Unfertige ist im Fertigen aufgehoben.“ (S. 267 in: Walz/Strege/Dreier)

 

Peter Blundell Jones († Anfang 2016) urteilte 2015 als der weltweit anerkannte Scharoun-Experte: „Wenn man ein halbes Jahrhundert zurückblickt, hat Scharoun Herausragendes geleistet: Er schuf identifizierbare Raumbezüge innerhalb seiner Gebäude, er förderte den Mut zur sozialen Identifikation, und er entwickelte hierarchisch strukturierte Bereiche mit klar definierten Wegen zwischen ihnen – das alles zu einer Zeit, als die meisten Gebäude immer häufiger anonymen Verpackungen ähnelten. Die im Jahre 1960 entworfene Schule in Marl ist ein paradigmatisches Beispiel, das seinesgleichen in der Welt sucht“. (S. 55 in: Walz/Strege/Dreier).

 

Und nach seinem letzten Besuch in Marls Scharounschule (Okt. 2015) formulierte Peter Blundell Jones: „Wenn man eine Liste von fünf Punkten erstellen müsste, aus denen die Vorzüge von Scharouns Architektur hervorgehen, könnten das sein: Einbettung in die Lage, Tageslicht, Darstellung des Inhalts durch die Formgebung, Wegführung und Ökologie. Das heißt:

 

Er war immer an der Lage und der Umgebung interessiert und gestaltete jedes Gebäude unter Einbeziehung der örtlichen Besonderheiten und der Topografie. Er achtete darauf, dass seine Gebäude einen angemessenen Platz inmitten der vorhandenen Umgebung einnehmen. Dazu musste er natürlich Orientierung, Ausblicke und einen Wasserlauf berücksichtigen, sofern es einen gab.- Die Integration in eine Landschaft oder in einen Garten war selbstverständlich.

 

Zweitens sollte es in jedem Raum Tageslicht geben, in Klassenzimmern von allen Seiten. Dazu brauchte man oft Innenhöfe oder halb eingeschlossene Außenbereiche und die großzügige Behandlung der Übergänge zwischen innen und außen. Eine besondere Bedeutung hatte das Nordlicht, was in vielen Scharoungebäuden durch Schrägverglasung ermöglicht wurde.

 

Drittens war die Betonung der sozialen Zusammenhänge von vorrangiger Bedeutung beim Entwurf und beim Grundriss. Das ist besonders deutlich bei Schulen mit den abgetrennten Bereichen für jede Schülergruppe und mit der Trennung von ‚offenen und geheimen Bezirken‘. Er achtete darauf, dass man nicht nur verschiedene Arten von Räumen unterscheiden konnte, sondern dass eine erkennbare Hierarchie vorhanden war.

 

Daher war die Platzierung der Räume und der sie verbindenden Wege entscheidend, was uns zur ‚Wegeführung‘ bringt, meinem vierten Punkt. Vielleicht mehr als jeder andere Architekt der Moderne entwarf Scharoun seine Gebäude entlang logischer und erkennbarer Wege, indem er Grundrisse nach Richtungshierarchien und sich verändernden Winkeln entwickelte – worin er ein anerkannter Meister war – und Treppen einsetzte, die in eine Richtung leiten. Dabei entdeckte er eine neue Art der internen Straße, experimentierte mit den Pausenhallen in Schulen und dem Foyer der Philharmonie, Orten der Bewegung und des gleichberechtigten Zusammentreffens.

 

Mit meinem fünften Punkt, der Ökologie, meine ich, dass man eher im Einklang mit dem Planeten leben sollte als gegen ihn und den Reichtum der Erde respektieren sollte. Wir sollten uns nicht in schwarzen Kästen mit Klimaanlagen einschließen. Wir sollten Licht und Aussichten genießen, wir sollten uns der vielfältigen Übergänge zwischen innen und außen bewusst sein, wir sollten die Landschaft mit all ihren innenwohnenden Erinnerungen respektieren. Wir sollten erkennen und uns daran erinnern, wo und wer wir sind, indem wir uns mit Orten identifizieren. Es kann uns helfen, wenn wir Aussehen und räumliche Gestaltung der Gebäude zu ihrem Inhalt und ihrer Bedeutung für das Leben in Beziehung setzen, dem sie dienen sollten.“ (S. 81 in: Walz/Strege/Dreier)

 

Dieser Text wurde verfasst von Hartmut Dreier, Juli 2022.

Zitate aus: Manfred Walz/Peter Strege/Hartmut Dreier (Hg.): Hans Scharoun im Ruhrgebiet. Entwerfen und Bauen für das Leben. Berlin Story Verlag 2017, 2. Auflage 2018

Vgl. auch Hartmut Dreier, Roland Günter und Manfred Walz (Hrsg. im Auftrag des Deutschen Werkbundes NW mit dem Initiativkreis Scharoun-Schule): Marl – Industrie-Stadt eigener Art. Neuer Aufbruch mit Natur und Kultur (Essen – Klartext 2015). Vergriffen. Nachdruck in Vorbereitung

 

Zum Autor: Hartmut Dreier:

Theologe, ev. Pfarrer i.R. Gemeinsam mit seiner Frau Almuth lernte und beteiligte er sich 1963–1965 in New York und San Francisco in Gemeinwesenarbeit. War Studentenpfarrer in der ESG (zuerst in der Bundesgeschäftsstelle Stuttgart 1966–1969, danach an der Ruhr-Universität Bochum: 1969–1977). Lebt mit Familie seit 1977 in Marl, dessen geheimen Charme mit den engagierten Menschen in einer einmaligen Stadtlandschaft er nach und nach begriff. Von 2005 an Öffentlichkeitsarbeiter des Initiativkreises Scharounschule. Mitglied im Deutschen Werkbund. Seit „1968“: Mitherausgeber der Zeitschrift AMOS („Kritische Blätter aus dem Ruhrgebiet“). Aktiv fürden Erhalt vom Jahnwald /Jahnstadion Marl. Aktiv im Projekt „Abrahamsfest Marl“ der CIJAG = Christlich-Islamische-Jüdische Arbeitsgemeinschaft Marl/Kreis Recklinghausen und immer wieder aktiv in der Initiative Zukunft findet Stadt.

Fotos ©  Hartmut Dreier, Irene Rasch-Erb